Dr. Evita Wiecki

Jiddisch in Hamburg

Am 12. Juni 2022 verstarb unerwartet früh im Alter von nur 54 Jahren Dr. Evita Wiecki, engagiertes Mitglied unserer Gesellschaft, großartige Jiddistin und leidenschaftliche Mitstreiterin um die Zukunft des Jiddischen.

Evita wirkte seit 2010 als Lektorin für jiddische Sprache an der Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur der Ludwig-Maximilians-Universität München, unterrichtete darüber hinaus aber auch an der Jüdischen Volkshochschule in München sowie beim Yiddish Summer Weimar.

Sie war eine hochgeachtete Wissenschaftlerin und machte sich einen Namen mit ihrer 2017 an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eingereichten Dissertation „Ein Jude spricht Jiddisch. Geschichte des säkularen Jiddisch-Lehrbuchs im Polen des 20. Jahrhunderts“. Dafür bekam sie 2019 den Arsen-Djurović-Preis für historische Schulbuchforschung; das Werk erlangte bereits im selben Jahr eine zweite Auflage, eine Seltenheit für eine Dissertation. In akribischer Archivforschung hatte sie rund 90 jiddische Lehrbücher aus Polen untersucht, darin inbegriffen auch das Jahrzehnt nach der Schoa. Schon 2012 hatte sie bei uns zu diesem Thema den Vortrag „Freydke in shul, Fride in skul – bagrifn fun identitet in lernbikher far yidish“ gehalten.

Neben dieser tiefgreifenden Auseinandersetzung mit und Aufarbeitung von Archivmaterial trat sie aber auch übersetzerisch und literaturwissenschaftlich in Erscheinung, etwa beim Nachwort zu „Emil und Karl“ von Yankev Glatshteyn (Die Andere Bibliothek, 2014) oder bei der Übersetzung von „Ein Tag in Regensburg“ von Joseph Opatoshu (Stutz, 2008) sowie von Texten von Janusz Korczak. Unvergessen bleibt sie außerdem als Jiddisch-Coach für den Schweizer Film „Wolkenbruch“ (2018, Regie: Michael Steiner).

Evita Wiecki beim Sholem-Alejchem-Vortrag 2021.

Evita prägte aber auch die von ihr ins Leben gerufenen, seit 2011 jährlich abgehaltenen Scholem-Alejchem-Vorträge, in deren Rahmen internationale Jiddisch-Größen wie Chava Turniansky, Itzik Gottesman, Dovid Katz, Anna Shternshis oder Kalman Weiser eingeladen wurden. Einige dieser Vorträge kann man sich noch auf Spotify anhören, der letzte Vortrag aus dem Jahre 2021 von Diego Rotman über das Theater von Dzigan und Shumacher ist sogar auf YouTube zu sehen.

Nicht zuletzt bestand ein wesentlicher Teil ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit in der Erforschung der Geschichte bayerischer DP-Lager und besonders der unmittelbaren Nachkriegszeit des Klosters St. Ottilien, welches von 1945 bis 1948 als Unterkunft für jüdische Displaced Persons diente und durch das dreijährige unmittelbare Nebeneinander von Christentum und Judentum heraussticht. Evita zählte maßgeblich zu den Organisatoren einer internationalen Konferenz vor Ort, an der 2018 zahlreiche „Ottilien-Babys“ aus aller Welt teilnahmen, denn das Kloster war Geburtsstätte für mehr als 400 jüdische Kinder. Ein dauerhafter Rundweg mit zahlreichen Informationstafeln zur DP-Geschichte des Klosters, der auf Evitas Engagement zurückgeht, zeugt weiterhin von ihrer Arbeit.

Möge ihre Seele eingebunden sein in den Bund des ewigen Lebens.

weiterführende Links:

Dissertation Ein Jude spricht Jiddisch samt Jury-Urteil Preisverleihung Arsen Djurović

DP-Vergangenheit des Klosters St. Ottilien

Nachruf an der LMU von Prof. Dr. Michael Brenner

Interview mit Dr. Evita Wiecki zu Jiddisch heute_Jüdisches Museum München

Sholem-Alejchem-Vorträge an der LMU

Diego Rotman über Dzigan und Shumacher_Sholem-Alejchem-Vortrag 2021_Einführung Dr. Evita Wiecki