Marcel Seidel

Brody

Jiddisch in der Welt

Wir wechseln den Schauplatz und fahren durch die Abwesenheit einer Stadt und die Anwesenheit der tiefsten Provinz in den anscheinend letzten verbliebenen Winkel Stadt von Brody, sollte es jemals einen anderen Eindruck vermittelt haben als heutzutage. Sicherlich tat es das, auch wenn die Blütezeit infolge der Napoleonischen Kontinentalsperre, von der Brody damals so sehr profitiert hat, kaum ein Jahrzehnt betragen haben dürfte.

'Stadtmitte' von Brody

Und dieses Loch, welches wir zuerst sehr viel deutlicher vor uns sehen als irgendetwas anderes, dieses Loch füllt das, was von der riesigen Synagoge aus dem Jahre 1742 übriggeblieben ist. Von einer Synagoge, die sich trotz des eingefallenen Daches, dem grünen Bewuchs und der sie durchdringenden Außenwelt Raum verschafft, so als könne sie die von ihr abrückenden Straßen und Wohnblöcke um sie herum einfach zur Seite schieben, von sich weisen, für ungültig erklären. Und als dringe nicht die Außenwelt in sie hinein, sondern sie hinaus in die Außenwelt, glaubt man, dass diese Synagoge Augen haben könnte anstelle leerer Höhlen, einen Körper und keinen Leichnam, dass ihre Streben, die den Einsturz nicht verhindern konnten, die Welt tragen könnten oder zumindest eine Welt, einen unsichtbaren Kosmos, der sich mit aller Macht gegen die Zerstörung stemmt, gegen das Vergessen, die Abwesenheit. Und doch lässt sich die Gleichzeitigkeit von Verfall, vom Eingegrabensein in verbrannte Erde und dem Hinausgreifen in den Raum, der Verlängerung eines abgebrochenen Kontinuums nicht leugnen.