Sabine Boehlich

Wer war Salomo Birnbaum?

Jiddisch in Hamburg

Salomo Birnbaum (1891-1989) erhielt 1922 einen Lehrauftrag für Jiddisch in Hamburg - den ersten, der an einer westeuropäischen Universität eingerichtet wurde.

Sein Lebenswerk umfasst ein breites Spektrum philologischer und paläographischer Forschungen. Seine wissenschaftlichen Arbeiten zur Jiddistik sind bis heute wegweisend.

Dazu gehört die 1915 in Wien erschienene 'Praktische Grammatik der Jiddischen Sprache für den Selbstunterricht', die erste vollständige wissenschaftliche Grammatik des Jiddischen überhaupt. Birnbaum promovierte 1921 an der Universität Würzburg über die hebräisch-aramäische Komponente des Jiddischen.

Salomo Birnbaum 1925 in Hamburg, Photo zur Verfügung gestellt von seinem Sohn David Birnbaum / Nathan & Solomon Birnbaum Archives, Toronto

Durch die Nationalsozialisten 1933 aus Hamburg ins Exil vertrieben, setzte Birnbaum seine vielfältige jiddistische Arbeit in London und später in den USA und Kanada fort.

Seine wichtigsten Forschungsergebnisse über die jiddische Sprache sind enthalten in den beiden Bänden: 'Die Jiddische Sprache. Ein kurzer Überblick und Texte aus acht Jahrhunderten' (1974) und - stark erweitert - 'Yiddish - A Survey and a Grammar' (1979).

Salomo Birnbaum wurde mit mehreren Ehrendoktortiteln ausgezeichnet, u.a. 1986 von der Universität Trier; eine entsprechende Ehrung durch die Universität Hamburg gab es nicht.

Salomo Birnbaum im Alter von 90 Jahren 1981 in Toronto, Photo zur Verfügung gestellt von seinem Sohn David Birnbaum / Nathan & Solomon Birnbaum Archives, Toronto

Einführung in die am 26. und 27. September 2015 abgehaltene Birnbaum-Konferenz anlässlich des 20. Jubiläums der Salomo-Birnbaum-Gesellschaft für Jiddisch e.V.:

Als sich die Gesellschaft 1995 gründete und nach Salomo Birnbaum benannte — der als erster Lektor an einer deutschen Universität in Hamburg von 1922-1933 Jiddisch lehrte und direkt nach der Machtergreifung nach England emigrierte —, stand der Gedanke im Vordergrund, diesen außergewöhnlichen Wissenschaftler zu ehren und den Wunsch zum Ausdruck zu bringen, dass Jiddisch an der Hamburger Universität eine Zukunft haben möge.

Salomo Ascher Birnbaum (1891-1989) war eine einzigartige Erscheinung unter den Sprachwissenschaftlern seiner Zeit: einerseits Wissenschaftler westlicher Prägung andererseits zur Orthodoxie „konvertiert“. Unter denjenigen, die in jener Zeit die jiddische Sprache normieren wollten, war er der einzige, der das auf traditionell-religiöser Basis tun wollte und stand damit außerhalb aller Lager.

Im Gegensatz zu den Sprachnormierern des YIVO-Instituts oder in der Sowjetunion sah Birnbaum die jiddische Sprache als aus dem Judentum entstanden und als nur innerhalb eines religiösen Judentums lebensfähig an. Ihm ging es nicht um die Verbesserung der Sprache um ihrer selbst willen, sondern sie diente ihm, neben Namen und Kleidung, als wichtiges Mittel zur Absonderung der Juden von den anderen Völkern.

Dabei sah er die jiddische Sprache in großer Gefahr: sowohl von außen durch die jeweiligen Nationalsprachen, die an staatlichen Schulen gelehrt und vermehrt auch in jüdischen Haushalten gesprochen wurden, als auch von innen durch säkularen Jiddischismus, Zionismus und Nationalismus. Die jiddische Sprache sei, so Birnbaum, im Exil unter Juden, „in goles bay yidn“. Die Erlösung aus diesem Exil wollte er erreichen durch die drei Säulen „yidishkayt, anti-daytshmerism un dorem-yidish“.

Die Konferenz beschäftigt sich mit den sprachideologischen Vorstellungen Birnbaums, wie die jiddische Sprache in ihrer früheren, unbeschädigten Gestalt wieder herzustellen sei. Nämlich ohne den schädlichen Einfluss der „alten“ Haskala, die das Jiddische zu einem Jargon herabgewürdigt und versucht hatte, es durch „Daytshmerismen“ zu „verbessern“, wie der „neuen“ Haskala Vilnaer Provenienz, die nach Birnbaums Ansicht fremde Sprachen zu imitieren suchte und damit Jiddisch zu einer beliebigen europäischen Sprache unter anderen machte.

In diesem Kontext sind Birnbaums Bemühungen zu verstehen, eine jiddische Orthographie auf Basis von „dorem-yidish“ (Zentral- und Südost-Jiddisch) zu schaffen, denn erstens waren so 3/4 aller Jiddischsprecher repräsentiert, und zweitens sollte die Sprache der religiösen Bevölkerung nicht von säkularisierten Litvakern dominiert werden. Fast vergessen ist heute, dass die Orthografie Birnbaums zwischen den Kriegen an den polnischen Beys-Yankev-Schulen gelehrt wurde und damit mehr Schülern vermittelt, als an allen säkularen jüdischen Schulen in Polen zusammen. Die Orthografie sollte nur den Anfang bilden bei dieser Befreiungstat, weitere Felder wie Stil, Grammatik und Lexik sollten folgen. Die Grundlage hierfür wollte Birnbaum als Leiter eines „ashkenazishn tsenter“, der jiddischen Abteilung innerhalb eines zu errichtenden Nahsprachen- Instituts schaffen.

Dies sind die Hauptthemen der Konferenz, die zusätzlich eine Führung durch die Salomo-Birnbaum-Bibliothek beinhaltet und eine szenische Lesung aus Materialien der Czernowitzer Sprachkonferenz 1908, die von Nathan Birnbaum, Salomo Birnbaums Vater initiiert wurde. Salomo Birnbaum führte damals das Protokollbuch, das im 1. Weltkrieg verloren ging.

Plakat mit allen Terminen der Konferenz